Durch einen dichten Wald pirschen sich eine Handvoll Personen in Richtung einer Schlachtfabrik. Still und leise arbeiten sie sich durch die Büsche. In der Mittagssonne ist jede Bewegung anstrengend, Schweißperlen tropfen ihre Gesichter hinunter. Dann Warten. Zehn Minuten, zwanzig Minuten. Alle knien schweigend auf dem Waldboden, die Spannung ist mit Händen zu greifen. Auf einmal sprinten sie los, raus aus dem Wald, über eine kleine Straße hin zu einem Laster. Eine Leiter wird angelehnt, zwei klettern nach oben, die anderen packen Transparente raus. Ein Mitarbeiter der Schlachtfabrik läuft auf sie zu und brüllt sie an, was sie hier machten. Die beiden auf dem LKW entrollen ein Tuch mit dem Spruch „Ausbeutung beenden“. Auf den Transparenten unten steht „Bis jede Schlachtfabrik stillsteht“ und „Capitalism kills“. Innerhalb nur weniger Augenblicke haben Aktivist*innen der Kampagne gegen Tierfabriken einen LKW von Wiesenhof besetzt – und stören damit den ganzen Betrieb einer Anlage, in der normalerweise in jeder Stunde zehntausende Tiere getötet werden.
„Diese Aktion richtet sich gegen die Ausbaupläne der Nienburger Geflügelspezialitäten und gegen die tägliche Ausbeutung in den Fabriken.“, schreibt die Initiative auf ihrer Webseite. Manchmal kann es so einfach sein stille Ablehnung in aktiven Protest umzuwandeln. Eine Leiter, eine Handvoll Menschen, ein paar Tage Vorbereitung und einen halben Tag freie Zeit – fertig ist der zivile Ungehorsam. Warum nicht noch mehr Menschen Aktionen wie die KGT machen, frage ich die Aktivist*innen. Eine meint, bei vielen sei womöglich die Angst vor der staatlichen Reaktion groß. Anzeigen, Geldstrafen, Gerichtsprozesse. Ziviler Ungehorsam kostet Zeit und Ressourcen. Vielleicht fehlten auch die persönlichen Kontakte zu Menschen, die aktionistisch eingestellt sind. Dabei bräuchte der Protest für einen gerechteren Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft dringend Unterstützung.
„Hört auf euren Gewinn über das Leben von anderen zu stellen!“
An diesem Tag ist es schon im Schatten unangenehm heiß. Die beiden Aktivist*innen auf dem Transporter sitzen aber stundenlang ganz ohne Schutz in der knallen Sonne. Ein Handy sei dort oben vor Überhitzung ständig ausgegangen, erzählt eine*r später. Unten pöbeln Angestellte gegen die anderen Aktivist*innen. Warum sie nach dem Attentat in Würzburg für Tiere und nicht gegen den IS demonstrierten. Sie sollten sich mal im Spiegel anschauen. Oder man würde den LKW wegfahren und dabei den Tod der Leute da drauf in Kauf nehmen. Die Aktivist*innen reagieren beeindruckend gelassen. Sie versuchen sogar noch auf die Angestellten und ihre Diffamierungen einzugehen. Bis auf diese Wortgefechte bleibt es friedlich.
Dass die Aktivist*innen so wenige sind und die Tierbefreiungsbewegung relativ klein ist, stört sie nicht. Man tue das auch aus einem Prinzip heraus, weil man das Unrecht nicht hinnehmen könne. Und irgendjemand muss mit dem Protestieren anfangen. Erst dann könne sich eine größere Bewegung bilden. So wie das in Israel passiert ist, wo sich bei ähnlichen Aktionen teilweise mehrere hundert Menschen beteiligen. In Deutschland nehmen zwar weniger Menschen teil, die Motive sind aber die gleichen. „Wir sitzen hier auf dem LKW von PHW/Wiesenhof um zu sagen: So wie bisher kann es hier nicht weitergehen!“, ist auf der Webseite der KGT zu lesen. „Hört auf euren Gewinn über das Leben von anderen zu stellen!“ Und dann kündigt die Initiative an, „wenn sie weitermachen wie bisher, ja sogar ihre Fabrik noch höher ziehen wollen, dann zeigen wir ihnen mit unserer Blockade auch, dass wir bereit sind, eben das nicht widerstandslos hinzunehmen.„
Nur ein kleiner Tropfen, aber…
Nach zwanzig Minuten kommt die Polizei. Die Beamt*innen begutachten die Situation, nehmen Personalien auf und unterhalten sich mit den Anwesenden. Sie sind freundlich, geradezu aufgeschlossen. Einer spricht sogar mit den Aktivist*innen und outet sich als Veganer. „Wenn man sich anschaut, wie die Tiere da gehalten werden – is ja furchtbar!“, meint er. Am Ende werden die beiden vom Transporter mit einer Hebebühne gebracht und alle gehen ihrer Wege. Die Polizei zurück zu ihrer Wache, die Angestellten in die Fabrik und die Aktivist*innen nach Hause. „Schöner Ausflug, oder?“, meint einer der Demonstrierenden danach ironisch. Tatsächlich wirkt die ganze Veranstaltung sehr gemütlich. Aber wer sagt denn, dass ziviler Ungehorsam und direkte Proteste immer mit Blut und Tränen ablaufen müssen. „Bis die letzte Schlachtfabrik stillsteht“ benötigt es wohl noch Zeit und es ist wohl so, wie die Kampagne gegen Tierfabriken in einem Statement auf facebook schreibt: „Das mag nur ein kleiner Tropfen auf einen heissen Stein sein, aber wenn wir viele kleine Tropfen sind, bekommen wir ihn irgendwann gelöscht.“ Nachahmung sei deshalb ausdrücklich erwünscht. Vielleicht stellt sich ja in nächster Zeit noch jemand die Frage, warum man nicht einfach mal einen LKW von Wiesenhof besetzen sollte.
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