Seit einem halben Jahr ist die Balkanroute für die legale Fluchtbewegung geschlossen. Idomeni ist geräumt und die Menschen sind in staatlichen Lagern untergebracht. Dort stecken sie fest – unter zweifelhaften Lebensbedingungen und ohne Gewissheit wie es für sie weitergeht. Bericht aus Nordgriechenland.
Mohamed Reza sitzt auf einer selbst gebauten Holzpritsche und schaut mich resigniert an. „Ich verstehe nicht, warum du das tust“, sagt er. Er meint die Fotos, die ich von den Menschen und den dutzenden Zelten in der riesigen Fabrikhalle mache. „Seit Monaten kommen Menschen, machen Fotos, stellen Fragen und nichts hat sich verändert“, meint er. Wir befinden uns in einem Geflüchtetencamp in Thessaloniki. Reza ist seit mehr als einem halben Jahr in Griechenland. Er war in Idomeni, hat die Proteste, den Schlamm und den Medienhype dort mitbekommen. Dann die Räumung des inoffiziellen Camps und die Unterbringung in dieser Halle. In dieser riesigen, lauten Halle. Weil sich nichts zum Guten verändert, will er auch nicht über seine Situation oder die Flucht sprechen. Stattdessen lädt er uns zum Tee ein und redet mit uns über Gott und die Welt.
So wie Mohamed Reza geht es vielen Geflüchteten in Griechenland. Sie waren über das Mittelmeer auf die griechischen Inseln und dann auf das Festland gekommen. Ihr Ziel war Mitteleuropa – so wie das hunderttausenden Menschen vorher gelang. Dann schlossen die Balkanstaaten ihre Grenzen und die griechischen Behörden verteilten die Menschen auf Militärcamps. Tausende steckten plötzlich in Griechenland fest. Ihnen wurden gute Unterbringungs- und Verpflegungsstandards versprochen und ich möchte wissen, ob diese Versprechungen gehalten wurden. Insgesamt existieren in und um Thessaloniki ungefähr zwanzig Camps. Circa 20.000 Menschen sind hier untergebracht.
Drei Camps, vier Zustände
Unweit vom Stadtzentrum in Thessaloniki liegt das Camp Softex. Hier lebt auch Mohamed Reza. In zwei Fabrikhallen und in Dutzenden Zelten unter freiem Himmel sind hier circa 1300 Menschen untergebracht. Es ist laut und stickig. Unter einem einfachen Holzdach auf dem Hof spielen Freiwillige von ‚Save the children‘ mit Kindern Völkerball. Da die Kinder keine Schule besuchen, ist das für sie das einzige Unterhaltungs-/Bildungsprogramm. Im Camp sollen sich Banden gebildet haben, vor ein paar Tagen hat es eine Vergewaltigung gegeben. Seither patroulliert Polizei auf dem Gelände, aber die Stimmung bleibt angespannt. Das Essen ist eintönig – von einem selbst gebautem Fallafelstand abgesehen. Egal in welches Camp wir fahren, fast immer wird Softex als besonders schlechter Vergleich herangezogen.
[rev_slider alias=“thessa_1″]
Dann ein Blick in das Camp Kavala. Dort empfängt mich am Tor Ali Mezoud. Der 47-jährige führt mich umher und erzählt vom Camp. Seit 7 Monaten lebe er hier. Nach seiner Ankunft auf Lesbos sei er direkt hierhergekommen und nicht nach Idomeni gegangen. „Ich wollte den offiziellen Weg gehen“, sagt er. Jetzt hängt er hier fest. „Wir sind hier wie Gefangene“, beschreibt er seine Lage. „Die EU missbraucht uns um andere davon abzuhalten nach Europa zu kommen.“ Die perfide Logik nach seiner Meinung: je schlechter es den Geflüchteten in Europa geht, desto weniger wollen nachkommen. Ali führt uns durch das Camp, wieder eine schmucklose Fabkrikhalle, auch hier sind große Hilfszelte aufgestellt. Es gebe allerdings kaum Konflikte, da es mit circa 100 Menschen wesentlich weniger als in Softex seien. Am Eingang zur Fabrikhalle bauen Freiwillige und Geflüchtete ein „Community Center“, ein paar Meter bietet die IHA bietet Kleidungsspenden an. Insgesamt wirkt das Camp zwar schlicht, aber entspannt. Aber auch hier ist das von einem Caterer gelieferte Essen eintönig – hinter dem Haus haben die Bewohnenden deshalb Feuerstellen zum Kochen eingerichtet.
[rev_slider alias=“Thessa-2″]
Kontrast zu all diesen Camps ist Elpida. Jakob ist einer der Koordinatoren des Camps. Er kommt aus den USA und sagt, dass er ‚das Richtige‘ tun möchte. Eigentlich wollte er eine Rundreise durch Europa machen. Seit letztem Sommer ist die aber unterbrochen und er unterstützt mit seiner Organisation „Together for better days“ Geflüchtete in Griechenland – unbezahlt. Zuerst hatte er auf Lesbos mit Essens- und Kleidungsverteilungen begonnen. Nun ist seine NGO Mitbetreiber einer Unterkunft für mehrere hundert Menschen. „Es ist schon ein bisschen wie ein Hotel“, sagt er mit einem Grinsen. Elpida ist das einzige Camp in Nordgriechenland, das nicht dem Militär untersteht. Hier kommen besonders schutzbedürftige Menschen unter – alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern, Personen mit Traumata, alte oder verletzte Menschen. Die Atmosphäre ist deutlich entspannter, die Menschen sind in einzelnen Zimmern untergebracht. Es gbt eine saubere Küche, das Zusammenleben wird von engagierten (und ebenfalls unbezahlten) Freiwilligen organisiert. Möglich ist diese Art von Unterkunft nur, weil ein gut situierter Geschäftsmann das Camp sponsert.
Zum Schluss besuche ich die Menschen, die in keinem Camp unterkommen. Mitten in Thessaloniki leben Dutzende in einem dreckigen Rohbau. Sie wollen oder können nicht in den offiziellen Camps nicht unterkommen. Das betrifft vorallem Menschen aus Afghanistan und Pakistan, also Staaten, in denen die Wahrscheinlichkeit abgeschoben zu werden, besonders hoch ist. Um eine Ecke des nackten Betons herum tut sich eine gefühlt andere Welt auf – Familien mit Kindern liegen in ihren Schlafsäcken mitten auf dEM Boden. Um sie herum Staub, Dreck und Müll. Nachts soll sich die Straße vor dem Gebäude in einen Straßenstrich verwandeln. Es ist schwer vorstellbar, wie man hier leben soll. Die Menschen hier hatten entweder Probleme in ihren Camps oder sie erhoffen sich von ausserhalb besser von Schmugglern mitgenommen werden zu können. Es gibt keine organisierte Versorgung, keine Gesundheitsleistungen, keine Sicherheit. Bis auf den Einsatz von Freiwilligen erfahren die Geflüchteten in dem Rohbau keinerlei Unterstützung.
[rev_slider alias=“thessa_3″]
Leben im Ungewissen
Allen Menschen gemeinsam ist die Ungewissheit in den Camps. Zwar können sie die verlassen, aber sie kommen nicht aus Griechenland heraus. Bis März war es möglich auf legalem Weg von Idomeni nach Mazedonien und weiter über die Balkanroute zu ziehen. Nach den Grenzschließungen ist das nur noch mithilfe von Schmugglern möglich. Das können oder wollen sich viele aber nicht leisten. „Für eine Familie müsste ich 2000 Euro zahlen, um weiter nach Europa zu gelangen“, erzählt Ali. „Pro Person“, fügt er noch an. Dazu kommen die Unsicherheiten. Die Schmuggler rauben die Menschen aus, es häufen sich Gerüchte von Zwangsprostitution und Organhandel. Auf legalem Weg nach Deutschland zu gelangen sei schwierig bis unmöglich, berichtet auch Michael Schneider. Der 36-jährige ist eigentlich Schauspieler und wie viele während einer Rundreise in Griechenland hängengeblieben. Jetzt unterstützt er hauptberuflich Geflüchtete – ebenfalls ohne Bezahlung. Seit mehreren Monaten bietet er Rechtsberatung für Familienzusammenführungen und für das Asylverfahren. „Es ist auf illegalem Weg günstiger nach Deutschland zu gelangen, als auf legalem Weg über die deutsche Botschaft“, sagt er. Die notariellen Beglaubigungen, Übersetzungen und Übersendungen von Urkunden, zusätzlich würden Bestechungszahlungen an syrische Beamte die Kosten in die Höhe treiben. Auch für Schneider sind diese Hürden beabsichtigt. „Das sind alles politische Entscheidungen, um die Menschen abzuschrecken“. Mit dem ‚relocation program‘ der EU sollen Geflüchtete die Möglichkeit haben von einem anderen EU-Land aufgenommen zu werden. Die Gesprächstermine bei den Behörden für die Aufnahme in das Programm liegen allerdings weit in der Zukunft – oft erst Mitte nächsten Jahres. Dazu kommt, dass viele Staaten zögern oder sich weigern Personenkontingente aus dem Programmzu übernehmen. Die Alternative für Geflüchtete wäre Asyl in Griechenland zu betragen. Das gebeutelte Land zahlt allerdings keine Unterstützung, stellt keine Versorgung und Arbeit zu finden ist quasi unmöglich.
Den Menschen bleibt nicht viel übrig als in der Ungewissheit zu warten.