Seit dem Tod von Daniel H. in Chemnitz verändert sich etwas. Zuerst bei den Rechten und nun in der ganzen Gesellschaft.

Demonstration von AfD und Pegida in Chemnitz eine Woche nach dem Tod von Daniel H.

Vor zwei Wochen sah es düster über Chemnitz aus. Nach dem Tod von Daniel waren hunderte aggressive Menschen durch die Stadt gezogen, verbreiteten Hass und Angst. Hitlergrüße wurden gezeigt, Hetzjagden auf Menschen migrantischen Aussehens abgehalten. Die Polizei setzte dem rechten Mob zu wenig entgegen und hatte die Lage nicht im Griff. Auf der Straße regierte Dunkeldeutschland. Auch im Internet wurde der Ton noch rauer und aggressiver, als es in rechten Netzwerken bereits der Fall ist. Kurze Zeit war ein Neonazi-Rapper mit seiner aufgebrachten Analyse zu dem Tod von Daniel auf Platz 1 der youtube-Trends. Die Rechte verwandelte ihre unterschwellige Aggression in Taten und schaffte es, eine große Zahl von Menschen zu erreichen und zu mobilisieren – auf der Straße und im Netz. Der Schulterschluss zwischen extremen und moderaten Rechten vollzog sich nun endgültig. Höhepunkt dieser Entwicklung war die gemeinsam von AfD und Pegida organisierte Demonstration durch Chemnitz eine Woche nach dem Tod von Daniel. Journalisten, Gegendemonstrierende und sogar die Polizei wurden angegriffen. Die Rechte lässt in Wort und Tat ungehemmter und vereinter denn je ihren Unmut freien Lauf.

Das war die erste Veränderung.

Bis zu 70.000 Menschen besuchten das Konzert #wirsindmehr in Chemnitz. Foto: strassenstriche.net/flickr.com

Direkt nach den Geschehnissen von vor zwei Wochen begann die Gegenbewegung. Menschen fuhren nach Chemnitz und demonstrierten gegen die Gewalt und den Hass von Rechts. In immer mehr Städten gab es Demonstrationen. Allein in Berlin-Neukölln gingen 8.000 Menschen auf die Straße. Gleichzeitig wächst die Mobilisierung für die #Seebrücke-Demonstrationen – in Hamburg nahmen um die 15.000 Menschen teil. Namhafte Politiker aus der Bundesregierung starteten Appelle gegen rechte Gewalt, besuchten Chemnitz.  Es war das helle Deutschland, das sich nun zu Wort meldete. Vorläufiger Höhepunkt war das gestrige Konzert in Chemnitz mit bis zu 70.000 Menschen, die gegen Rechts feierten – das entspricht einem Viertel der Stadtbevölkerung. Viele bekannte Persönlichkeiten hatten für das Konzert geworben, sogar Bundespräsident Frank Steinmeier. Der youtuber LeFloid rief auf „endlich den Mund aufzumachen“ und sich gegen Rechts zu positionieren. Sogar CDU-Ortsverbände stellen sich immer öfter gegen Nazis und unterstützen Proteste gegen rechte Aufmärsche – vor einiger Zeit fast undenkbar. Deutschland diskutiert aktuell, ob die AfD vom Verfassungsschutz überwacht werden müsse. Wie dazu bestellt veröffentlicht eine AfD-Aussteigerin ein Buch über die zwielichtigen Praktiken der Partei. Es beginnt eine gesellschaftliche Dynamik, an dessen Ende sich die Erkenntnis durchsetzen könnte, dass man nicht links zu sein braucht, um sich gegen Nazis zu stellen. Sondern einfach anständig.

Das ist die zweite Veränderung.

Es ist tragisch, dass erst ein Mensch sterben musste, dass erst gewaltbereite Menschen durch die Straßen ziehen und Medien im Ausland schockiert auf Deutschland blicken müssen, bevor die Zivilgesellschaft aufwacht. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob aus diesem Aufwachen ein wach bleiben oder ein wieder Einschlafen wird. Bislang wurde die gesellschaftliche Debatte stark von rechts getrieben. Vielleicht ergreifen jetzt mehr Menschen ihre Stimme, die bisher geschwiegen haben. Vielleicht werden jetzt mehr Menschen aktiv, die bisher noch nichts getan haben. Vielleicht werden Debatten wieder mehr auf Basis von Respekt und Menschenrechten geführt. Vielleicht wird es im besten Sinne zu einem Trend sich gegen Neonazis und Rechtspopulismus zu stellen, unabhängig von politischen Einstellungen oder Lagern.

Das wäre die dritte Veränderung.