Die Identitären sind eine selbst ernannte Jugendbewegung zur „Bewahrung der ethno-kulturellen Identitäten Europas“. Letztes Wochenende sind unter diesem Label in Wien bis zu 1.000 Menschen auf die Straße gegangen und wollten „Europa verteidigen“. Für den gestrigen Freitag hatten sie das erste Mal mit einer Demo in Berlin zum „Aufstand gegen das Unrecht“ aufgerufen. Sie gaben sich in ihren Reden und mit ihren Symbolen kämpferisch. Aber wenn du mit ihnen sprichst und ein bisschen hinter ihre Fassade blickst, merkst du was sie wirklich antreibt. Angst.

Freitag abend in Berlin-Mitte. Auf einem Platz am S-Bahnhof Friedrichstraße stehen etwa 100 Personen mit Deutschlandfahnen. Es sind weder Fußballfans, noch die wöchentlichen Demonstrierenden von Bärgida. Es sind Anhänger einer neuen Jugendbewegung, die sich selbst die Identitären nennen. Als Erkennungszeichen tragen sie zusätzlich gelbe Fahnen mit einem schwarzen Symbol, dem so genannten Lambda. Aus den Boxen dröhnt Rap. Für rechten Politrap ungewohnt gut. Das Gebiet um die Versammlung ist weitläufig abgesperrt.

Die Identitären am S-Bahnhof Friedrichstraße. Im Vordergrund die „Lambda-Fahne“.

Als Gastredner tritt der Österreicher Martin Sellner auf. Er ist die Personifizierung der Corporate Identity der Bewegung – jung, sympathisch, redegewandt. Er ruft die Teilnehmenden auf, Sonnenbrillen und andere Maskierungen abzulegen. „Lächelt die Fotografen an, wir haben nichts zu verbergen.“, sagt er. Er erinnert, wie damals zur ersten Demo in Wien auch nur ein paar Dutzend Menschen gekommen wären. Jetzt kämen sie zu Hunderten und Berlin würde das gleiche Schicksal nehmen. Und dann läuft die Demonstration los.

Martin Sellner (Mitte) rief auf die Sonnenbrillen abzulegen. Nicht alle folgten seinem Vorschlag.

Modern im Auftreten, alt im Denken

So modern sie auftreten, so überholt sind doch ihre Überzeugungen und Denkweisen. Während der Demonstration rufen sie immer wieder „Europa – Jugend – Reconquista“, als ob sie sich im ausgehenden Mittelalter befänden. Der Redner beschwor mehrfach die Legende vom „Roten Berlin“ und holt damit die Weimarer Republik zurück. Die Identitären vergleichen die heutige Situation mit dem Untergang Roms. Das damalige Weltreich sei auch daran gescheitert, dass fremde Völker es überrannt hätten. Immer wieder ist von „der Tradition“ die Rede und von „deutschen Tugenden“. Sie scheinen sich mit so einer Kraft an eine deutsche Identität zu klammern, als ob sie Angst haben müssten, sie könnte wie ein Ansteckbutton einfach so von ihnen abfallen.

Verängstigte identitäre Gedankenwelt

Vielleicht trifft dieser Gedanke auch genau die Grundmotivation ihres Protests: Angst. Angst vor Muslimen, vor Europa, vor Fremden und Neuem. Das Deutsche scheint man zu kennen, es scheint Sicherheit zu bringen. Auch wenn man keine genaue Definition hat, was „Deutsch-Sein“ genau ausmacht. Die Identität eines Menschen würde aber mit dem Geburtsort zusammenhängen, meinen sie. Die Identitären bezeichnen sich selbst als „Stimme der Nicht-Migranten“. Sie haben als weißes Bürgertum Angst ihre Vormachtstellung zu verlieren. Und sie haben Angst vor einer Diktatur. In der identitären Welt versucht „der Kapitalismus“ die Menschheit zu einer homogenen Masse zu formen. Deshalb würden die Migrationsbewegungen aktuell auftreten. Das Ziel sei die totale Kontrolle über alle Menschen. Ein Teilnehmer meint, er wolle nicht in diesem „Multi-Kulti-Einheitsbrei“ leben, sondern mit vielfältigen Völkern und einer historischen Tradition. Diese Völker seien widerstandsfähiger gegen diese kapitalistische Übernahme.

Identitäre Widersprüche

Die Identitäre Demonstration selbst wirkt dabei überhaupt nicht vielfältig. An der Veranstaltung nehmen fast nur Männer teil. Demonstrationsbeobachter meinten spöttisch, sie würden sich alle ähnlich sehen. Die wenigen Frauen haben sich öffentlichkeitswirksam in die erste Reihe gestellt.

Frauen waren bei der Demonstration stark unterrepräsentiert.

Die Identitären treten freundlich auf und bekennen sich zur Demokratie. Ihre Gedankenwelt gleicht aber der von der NPD und klassischen Nazis. Menschen würden mit der Geburt einem Volk und einer Nation angehören – ein Leben lang. Damit negieren die Identitären die individuellen Menschenrechte, weil sie die Würde eines Menschen an seine Nation koppeln. Sie würden es nicht so sagen, aber ihre Überzeugung in politisches Handeln umgesetzt bedeutet genau das. Sie wollen Zuwanderung pauschal stoppen, weil sie allen Zuwandernden eine Gefährdung der hier bereits Lebenden unterstellen. Sie haben pauschal Angst vor Muslimen, weil der Islam eine gewalttätige und expandierende Religion sei. Sie lehnen auch pauschal die etablierte Politik und die Medienlandschaft ab. Die Identitären unterscheiden sich von den klassischen Nazis nur in ihrem Auftreten.

Am Ende

Der Demonstrationszug konnte sein Ziel, den Potsdamer Platz, nicht erreichen. Die ganze Strecke begleiteten Gegendemonstrierende die Identitären mit Pfiffen, Schmährufen und Transparenten. Das Berliner Bündnis gegen Rechts sprach von bis zu 400 Personen. Am Ende gelang es, die Aufmarschstrecke kurz vor dem Potsdamer Platz zu blockieren. Die Identitären mussten frühzeitig abbrechen und umdrehen. Die Demonstration sollte ursprünglich in Gedenken an die Arbeiteraufstände 1953 in der DDR stattfinden. Nachdem die Redner das am Anfang kurz erwähnt hatten, spielte es den Rest der Veranstaltung keine Rolle mehr.

Das Berliner Bündnis gegen Rechts sprach von bis zu 400 Gegendemonstrierenden.
Die Polizei hinderte Gegendemonstrierende durch ein Hostel zu den Identitären zu kommen. Dieser Gegendemonstrant fand dennoch einen Weg seinen Unmut kundzutun.

Bleibt die Frage, wie es mit den Identitären weitergeht. Durch ihre Biederkeit könnte es für sie relativ einfach sein in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Sollten sie ebenso in Berlin wachsen wie in Wien? In Berlin organisieren sie Wanderausflüge und Selbstverteidigungskurse, traten aber auch schon mit größeren Aktionen in Erscheinung. Oder gelingt es aufgeklärten Personen und Gruppen ausreichend gegen die Bewegung zu mobilisieren und aufzuklären? Vielleicht bleibt irgendwann noch Zeit für die Frage, warum immer noch so viele Menschen ein Nationalgefühl brauchen, um eine Identität zu entwickeln.

[su_box title=“Die Identitären“]Die Identitären stammen ursprünglich aus Frankreich und gingen dort aus der Gruppe Bloc identitaire hervor. Aktuell erfahren die Identitären vorallem in Österreich viel Zulauf. Sie geben sich als moderne Jugendbewegung und sorgen mit aktionistischen Mitteln für Aufsehen. Letztes Jahr besetzten Mitgliedern kurzzeitig die SPD-Parteizentrale in Berlin. In Österreich stürmte eine Gruppe ein Theaterstück von Geflüchteten. Die Identitären werden vom Verfassungsschutz überwacht.[/su_box]

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